Donnerstag, 21. August 2008

Willkommen in der Normalität.

Viele von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, kennen das Fußballzeitgeschichtenmagazin "Auf, Ihr Helden!". Nicht ganz so bekannt in der KSC-Fangemeinde östlich des Rhein dürfte die Kolumne "An der Seitenlinie" von Herausgeber und Autor Matthias Dreisigacker in der RHEINPFALZ sein. Regelmäßig veröffentlicht er dort seine Gedanken zu aktuellen Entwicklungen und Tendenzen nicht nur des KSC. Den vorliegenden Text, veröffenlicht an diesem Montag, möchte ich Ihnen, mit freundlicher Genehmigung des Autoren, als Ergänzung der aktuellen Diskussionen um die Zuschauerbeteiligung beim ersten Heimspiel und unseren neuen Rivalen aus Nordbaden zur Verfügung stellen. 

Es ist wieder Platz im Wildpark

Es ist erst ein Jahr her, daß der KSC angesichts des Ansturms auf Dauer- und Eintrittskarten des Interesses nicht mehr Herr wurde und sich hernach harscher Kritik ausgesetzt sah. „Na, das hätte man doch wissen müssen, daß die Menschen wieder heiß auf die Bundesliga sind!“, hieß es allerorten. Nun scheint sich die Situation beruhigt zu haben und dürfte vielen Menschen klargeworden sein, Bundesligafußball nicht per se als derart attraktiv anzusehen, daß man unbedingt jedes Mal dabei sein muß. Im Gegensatz hierzu blieben zum Auftakt gegen den VfL Bochum so manche Plätze leer – 24.800 Zuschauer kamen. Nun ist angesichts eines Gegners dieser Kategorie eine Auslastung von „nur“ ca. über 75 Prozent gewiß nicht schlimm. Schon immer zählte der VfL zu jenen Vereinen, die in Karlsruhe eigentlich noch nie „gezogen“ haben. Noch bis in die 90er Jahre hinein sind zu diesen Spielen Zuschauerzahlen von 11.000 zu verzeichnen gewesen. Damals verwunderte es nicht, daß nur die Treuesten bereit waren, sich diese überwiegend sperrigen Auseinandersetzungen anzuschauen. Und daher ist für heute festzuhalten, daß nach dem letztjährigen Wahn die Normalität wieder zurückgekehrt ist. Der VfL Bochum war, ist und bleibt – der VfL Bochum! Viele Zuschauer vom Samstag mag es gefreut haben, daß man auch ohne die Mitmahne von Styropor-Würfeln problemlos freie Sicht auf das Spielfeld hatte… Den Verein sollte dies nicht beunruhigen. Es ist lange her, daß eine KSC-Mannschaft über eine derart hohe Akzeptanz in der Region verfügte. Und noch wichtiger – auch wenn der Zuschauerzuspruch in den nächsten Monaten im Vergleich zur Vorsaison ein wenig zurückgehen sollte, steht inzwischen fest, daß der KSC in den mißlichen Jahre des Niedergangs sein Fundament nicht verloren hat. Weder Freiburg, noch Kaiserslautern oder gar der VfB Stuttgart haben dauerhaft Fans abziehen können. Aber – Hoffenheim?

Ist der Wahnsinn ist nun woanders zuhause?

Nimmt man die bloßen Zahlen, so scheint der Wahnsinn in Richtung Kraichgau und Kurpfalz weitergezogen zu sein. Denn offiziell sind in Hoffenheim 13.300 Dauerkarten abgesetzt worden. Das wäre viel und absolut bewundernswert, wenn nicht böse Gerüchte in Umlauf wären. Nach diesen hat die TSG auch zahlreiche jener Sponsore
nbillets in die Gesamtbilanz mit aufgenommen, die gar nicht im freien Verkauf waren. Sie sollen demzufolge im großzügigen Sponsorenpaket umsonst dabei gewesen sein. Früher hat man Bayer 04 Leverkusen stets vorgehalten, Eintrittskarten zu verschenken, um nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit Bundesliga spielen zu müssen. Exakt diesem Vorwurf könnte sich nun auch die TSG gegenüber gestellt sehen. Denn eben so und nicht anders wäre die lockere Handhabung der Abgabe von Karten zu interpretieren. Hauptsache, die Stadien in Mannheim (Vorrunde) oder Sinsheim (Rückrunde) sind gefüllt und man kann durch dieses scheinbare Publikumsinteresse belegen, wie gut das Hoffenheimer Modell von der Region angenommen und akzeptiert wird.

Ein Stadion an der Autobahn. Irgendwie wirkt sie auf diesem Bild bedrohlich, die Baustelle von Sinsheim im August 2008. 

Alles vergebens

Sollte dem so sein, dann stünde das Ziel von Dietmar Hopp, den Verein so rasch wie möglich in die Rentabilitätszone zu führen, nun doch noch nicht so rasch in Griffweite. Grund zur Häme oder gar eine Schande wäre es freilich nicht. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn sich die Kraichgauer – bei allem sportlich verdienten Erfolg – anmaßten, sich über gewisse Gesetzmäßigkeiten des Fußballs und seiner sozialhistorischen Verankerung mühelos hinwegsetzen zu können. Der Verein sollte sich darüber bewußt sein und unbedingt dazu stehen, daß er keine gewachsene Zuschauerkultur hat. Ein Beispiel: Bayer Leverkusen befindet sich seit dem Wochenende im 30. Jahr (!) seiner Zugehörigkeit zur 1. Bundesliga und hat formal eigentlich alle Voraussetzungen erfüllt, wenn nicht in Fußballdeutschland, so zumindest in der Region, Kultstatus zu besitzen – UEFA- und DFB-Pokalsieger, Champions-League-Finalist, aber auch dramatische Abstiegskämpfe, Beinahe-Meisterschaften und das Halbseidene eines Rainer Calmund. Alles vergebens. Der Verein wird seinen Ruf, ein Kunstprodukt zu sein, einfach nicht los und muß hilflos mit ansehen, daß die Leute noch immer lieber nach Gladbach oder Köln rennen.
Daher: Kopf hoch, KSC – 24.800 Zuschauer können sehr, sehr viel sein.

Text: Matthias Dreisigacker
Quelle: DIE RHEINPFALZ vom 18. August 2008

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