Donnerstag, 5. März 2009

Offener Brief an Herrn Dohmen

Meine Aufarbeitung des Derby-Wochehende beginnt aus diversen Gründen leider sehr spät, und bevor an dieser Stelle von den bekannten Ereignissen die Rede sein soll, hier vorab die Dokumentation eines herausragenden Beitrag des Users "Fliege" aus dem Archiv des KA-FANS.de-Talk:   



Sehr geehrter Herr Dohmen!


Wahrscheinlich ist der Zeitpunkt ein schlechter - wer einen Tag nach dem verlorenen Derby "Becker raus" fordert, dem wird man nicht zu Unrecht unterstellen, dabei von heftigen Emotionen geleitet zu sein. Obwohl man leider zu gut darin geübt ist, den Schmerz einer Niederlage zu verarbeiten, tut das verlorene Spiel gegen Stuttgart natürlich besonders weh. 


Ich habe - nicht erst seit dem gestrigen Spiel - jeden Glauben daran verloren, dass Ede Becker als Cheftrainer des KSC noch in der Lage ist, das Ruder herum zu reißen. Denn noch immer ist er davon überzeugt (und Sie vermutlich auch), dass sein Konzept das richtige ist und sich der Erfolg bei konsequenter Fortführung schon noch einstellen wird. Leider sprechen die Zahlen der letzten zwei Jahre eine andere Sprache, und wenn sie eine Prognose zulassen, dann höchstens die, dass es noch schlimmer werden wird.


Es ist kaum vorstellbar, dass ein einziges Spiel die Entwicklung eines Vereins über einen derart langen Zeitraum maßgeblich prägt, doch genau das ist bei uns passiert. Am 20.11.06 spielte der KSC gegen Hansa Rostock und führte nach 78 Minuten mit 4:1. Wie im Rausch rannten die Karlsruher immer noch pausenlos nach vorne - und dem Gegner ins offene Messer, mit bekanntem Ausgang. Nie mehr solle so etwas passieren, schwor sich Ede Becker an diesem Abend, und er sollte Recht behalten - leider.


Bis zum Spiel gegen Rostock erzielte der KSC in der zweiten Liga 2,5 Tore pro Spiel, was einen Punkteschnitt von 2,2 zur Folge hatte. Ab diesem Zeitpunkt verordnete Becker der Mannschaft eine defensivere Ausrichtung. Seither ist es dem KSC in 77 Erst- und Zweitligaspielen noch genau ein einziges Mal gelungen, mehr als drei Tore zu erzielen.


Noch in der zweiten Liga sank die Torausbeute ab dem Rostock-Spiel bis zum Saisonende 06/07 auf durchschnittlich 1,6 Treffer und es wurden als Folge davon nur noch 1,8 Punkte je Spiel geholt. Immer noch tolle Werte, aber eben schon der Beginn eines Trends.


Die defensivere Ausrichtung hat also dazu geführt, dass im Schnitt fast 1 Tor pro Spiel weniger erzielt wurde. Darum ist es besonders interessant zu wissen, wie viel zusätzliche Sicherheit diese Umstellung gebracht hat.


Die Antwort ist ernüchternd: Vor dem Rostock-Spiel hatte der KSC in zwölf Spielen ebenso viele Gegentore hinnehmen müssen. Nach diesem Spiel (die vier Gegentore wohlbemerkt nicht mitgerechnet) waren es 25 Gegentore in 21 Spielen, ein Schnitt von rund 1,2. Schon zu Zweitligazeiten war also zu erkennen: Das taktische Defensivkonzept sorgt für eine deutliche Reduzierung der eigenen Torerfolge bei gleichzeitig erhöhter Anfälligkeit für Gegentreffer. Der sportliche Erfolg und die insgesamt noch positive Bilanz haben dies noch überdeckt.


Dann kam der Aufstieg und die sensationelle Vorrunde der Saison 2007/2008.
Aber wie sensationell war sie wirklich? 18 der 28 Punkte wurden aus den ersten 9 Spielen geholt, danach folgten 10 Punkte aus acht Spielen - ein Wert, mit dem man im Kampf gegen den Abstieg im Soll ist - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Ohne etwas schlechtreden zu wollen: Der KSC hatte nach dem Aufstieg einen phantastischen Start in die erste Liga, mehr nicht.


Um die Tor-Statistik fortzuführen: 1,1 Tore für und 1,2 gegen den KSC in der Vorrunde 07/08. Vorne etwas weniger erfolgreich, hinten stabil geblieben im Vergleich zur zweiten Liga - damit konnte man durchaus noch zufrieden sein.


Dann kam die Rückrunde 07/08: In der Offensive blieb der Wert konstant, aber es wurden 1,9 Tore pro Spiel kassiert und nur noch 15 Punkte geholt. Die Gründe dafür sind, das muss man zugestehen, weniger im taktischen Bereich zu suchen, da waren andere Faktoren ausschlaggebend.


Dennoch hat sich der Trend, immer weniger Tore zu erzielen und immer mehr zu kassieren, auch in der Hinrunde 08/09 fortgesetzt. Zur besseren Übersicht fasse ich nochmal zusammen: 


(Tore/Gegentore - Punkte, Durchschnittswert)


2. Liga 06/07, bis zum Rostock-Spiel

2,5 / 1,0 - 2,2

2. Liga 06/07, nach dem Rostock-Spiel

1,6 / 1,2 - 1,8

1. Liga 07/08, Hinrunde
1,1 / 1,2 - 1,6

1. Liga 07/08, Rückrunde
1,1 / 1,9 - 0,9

1. Liga 08/09, Hinrunde
0,9 / 1,9 - 0,8

1. Liga 08/09, Rückrunde bisher
0,6 / 1,4 - 0,8


Mit einem Schuss Zynismus könnte man jetzt sagen: Das defensive Konzept greift seit der Rückrunde endlich. Zwar schießen wir jetzt praktisch gar keine Tore mehr, aber wir bekommen auch wieder weniger.


Davor kann man nicht mehr die Augen verschließen. Es findet, offenbar ausgelöst durch ein traumatisches Ereignis, seit mehr als zwei Jahren eine negative Entwicklung statt, und an dem zugrunde liegenden Konzept wird stur und uneinsichtig festgehalten. Das gern benutzte Argument, dies sei auch eine Frage der Spielerqualität, kann man nicht gelten lassen. Von der Stammelf der Rückrunde 07/08 standen im Spiel gegen Stuttgart lediglich Miller, Görlitz, Eichner und Freis in der Startformation.


Der KSC hat Ede Becker viel zu verdanken, er hat ihn aus den Niederungen der zweiten in die erste Liga geführt, dafür gebührt im Respekt und Anerkennung. Aber er hat eben genau so die sportliche Verantwortung für das zu übernehmen, was sich seit über einem Jahr abspielt. Würde man die Spiele seit dem letztjährigen Rückrundenauftakt detailliert auswerten, käme man zu dem Ergebnis, dass die Kurve immer weiter nach unten zeigt. Woher soll man da den Optimismus nehmen, dass dies plötzlich anders werden könnte?


Denn es sind eben weder Pech noch sonstige gern bemühte Umstände - nein, was wir erleben, ist das verlässliche Ergebnis einer verfehlten Strategie, und diese Ergebnisse werden so lange konstant bleiben, wie man an dieser verfehlten Strategie festhält - egal in welcher Spielklasse.


Abgesehen von der sportlichen Einstellung wirkt Ede Becker auf mich rat- und ideenlos - und vor allen Dingen geht ihm die überlebensnotwendige Leidenschaft in solch kritischen Zeiten völlig ab. Er war noch nie ein Rumpelstilzchen an der Seitenlinie, aber wenn man sieht, wie er die Spiele seiner Mannschaft fast schon lethargisch verfolgt, kommt man schnell zu dem Schluss: da ist kein Feuer mehr.

Und genau so tritt auch die Mannschaft auf.


Es tut mir weh zu sehen, wie die Person Ede Becker Woche für Woche an Ansehen verliert. Aber noch mehr tut es mir weh zu sehen, wie seine falschen Vorgaben meinen Lieblingsverein im freien Fall in die Zweitklassigkeit stürzen lassen. Und meine schlimmste Befürchtung ist, dass damit das Ende der Entwicklung noch nicht erreicht ist, denn die Zahlen sprechen für sich.


Mutloses, defensives Spiel - damit ist der KSC einst unter Köstner in der zweiten Liga auf einem Abstiegsplatz gelandet.

Sein Nachfolger ist gerade dabei, diesen Fehler zu wiederholen, und es sollte mich nicht überraschen, wenn er den KSC eines Tages genau dorthin zurückbringt, wo er ihn dereinst übernommen hat. Noch ist Zeit und Gelegenheit, dies zu verhindern.



Fliege
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Eintrag 997633 - Montag, 02.03.2009 um 10:44:43 Uhr

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