Donnerstag, 5. März 2009

KSC - VfB Stuttgart 0:2

Achtung, dieser Beitrag fällt umfangreicher (und persönlicher) aus als gewohnt und besteht zu einem nicht unerheblichen Teil aus meinem Erlebnisbericht vom Sonntag - halten Sie durch, es lohnt sich. Auf die sportliche Analyse verzichte ich heute, ich denke die Mannschaft und vor allem dieVerantwortlichen geben derzeit ein allzu deutliches Bild ab, sodass mir eine Deutung durch meine bescheidene Stimme überflüssig erscheint. Im Übrigen verweise ich auf den Beitrag des ka-fans.de User „Fliege“, der in seinem „Offenen Brief an Herrn Dohmen“ alles sagt, was zu sagen ist. Und bitte denken Sie daran: Noch ist nichts endgültig verloren.

 

„Nach dem Schlusspfiff brannte der Wildpark“ betitelt das WOCHENBLATT am Mittwoch seinen Sportteil, im dazugehörigen Artikel kommen der gewohnt gut informierte Johannes Wagner und sein „Mitarbeiter“ Hartmut Mayer dann auch sofort auf den Punkt. Es wären „Szenen wie aus einem Katastrophenfilm“ zu sehen gewesen, ein „noch nicht gekanntes Ausmaß an Gewaltbereitschaft“ habe sich vor den Toren des Wildparkstadions aufgetan. Schnell und eindeutig sind auch die Schuldigen der Ereignisse ausgemacht: „Vor allem die Karlsruher „Fans“ zeigten sich als schlechte Verlierer. (...) von wegen Selbstregulierung (...) der im Kreuzfeuer der Kritik (ein in diesem Zusammenhang sehr passendes Bild, vielen Dank Herr Wagner, selten so gelacht) stehenden Ultras. (...) Wer in die Gesichter der Problemfans (der Ultras?) während der „Schlacht“ (schon wieder Anführungszeichen) blickte, sah oft sichtliche Freude an gezielten Übergriffen“. Erstaunlich, dass es - zumindest in Karlsruhe - bis Mittwoch dauerte, um die Ultras (also die Problemfans – oder andersherum?) in die Verantwortung zu nehmen. In einem von mir gerne frequentierten popkulturellen Internetforum wollten dies, an Krawallen Interessierte aus Dortmund und Hoffenheim, schon am Sonntag Abend gewusst haben.

In Darstellung und Beurteilung der Sachlage sind sich BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN, die überregionalen Tageszeitungen aus dem Qualitäts- und Boulevardsegment sowie die angeschlossenen Funk- und Fernsehkanäle einig, und wer nur irgendwie kann, äußert Betroffenheit und Empörung ob des Geschehenen. Schnell sind Schlagzeilen geschrieben, in der Sache folgt man blind einer Pressemitteilung der Karlsruher Polizei, kritische Nachfragen über Sinn und Zweck derer Maßnahmen bleiben aus. Denn Zeit ist Geld: Informationen sind Waren, sie müssen schnell und vor allem erfolgreich verkauft werden, dazu sollten sie in ihrer Struktur eher unterkomplex sein und inhaltlich möglichst dem Bild entsprechen, das die Mehrheit von den Verhältnissen sowieso schon hat. Die Damen und Herren der vierten Gewalt wollen ja auch von etwas leben.

Überraschenderweise macht an dieser Stelle der sonst eher biedere lokale Internet-Nachrichtenanbieter ka-news.de eine wohltuende Ausnahme, in dem er in zumindest einem Diskussionsbeitrag eine etwas andere Sicht auf die Dinge zulässt. Denn eins fällt auf: vergleicht man die Pressemitteilung der Karlsruher Polizei und die von ihr abgeleiteten Berichte in der Presse mit Beiträgen von Augenzeugen aus Internetforen und Blogs, sowie mit den auf youtube.com zur Verfügung gestellten Bilder, kommen schnell Zweifel am Gerede von den „scheinbar nicht zu verhindernden Ausschreitungen“, an der Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel, und nicht zuletzt an der Zweckmäßigkeit des ganzen Einsatzes auf.

 

Die Busblockade

„(...) Rund 150 dieser Fans fielen vor dem Eingang Ost des Wildparkstadions erneut durch das Abbrennen von Pyrotechnik und durch Werfen von Flaschen und Gegenständen auf. Da sich zahlreiche Mitglieder dieser gewaltbereiten Gruppe zudem vermummten und dies auch nach mehrmaliger Aufforderung des Polizeieinsatzleiters nicht unterließen, wurde die Gruppe aus Stuttgart in Polizeigewahrsam genommen und noch vor dem Spiel mit Bussen abtransportiert.“ (Anmerkung: Ich denke nicht, dass es in jeder Situation notwendig ist, bestimmte Rechtslagen durchzusetzen. Man kann auch übergeordnete Einsatzziele definieren.)

Unterdessen versuchte eine Gruppe von 250 KSC-Anhängern den auf dem Adenauerring nahenden Mannschaftsbus des VfB Stuttgart anzugreifen. Die Polizei musste die Karlsruher Fans auch mit dem Einsatz von Polizeireitern zurückdrängen. Um eine mögliche Gefahr für Stuttgarter Spieler auszuschließen, nahm der beschädigte Mannschaftsbus mit einer Polizeieskorte einen anderen Weg ins Stadion.“

So die Darstellung in der Pressemitteilung der Polizei. Ich habe mich zu dem Zeitpunkt, als die Stuttgarter wohl die Pyrotechnik zündeten, wie viele KSC-Fans am „Nackten Mann“ befunden, der Bus der KSC-Mannschaft sollte hier gebührend empfangen werden. Plötzlich waren, man kann es nicht anders sagen, schwere Erschütterungen zu spüren. Die Stuttgarter Pyrotechnik muss heftig gewesen sein (daher die Knalltraumata der Beamten?) – wie viele andere zog es mich aus Neugier Richtung Eingang Ost, um ein Auge auf das Geschehen zu werfen. Nach und nach strömten immer mehr Neugierige Richtung Absperrung, mindestens hundert Fans standen bereits am Eingang hinter der Gegengeraden und kamen auch dazu. Die Polizei war hinter der Absperrung offensichtlich gerade dabei, die 150 Stuttgarter Fans wegen Pyrotechnik und des Verstoßes gegen das Vermummungsverbot zu verhaften, es gab also objektiv „was zu sehen“. Da kam der Karlsruher Bus an.

Dieser wurde gefeiert und passierte die Menge, die nun auf der Straße stand. Und prompt kam auch drei bis vier Minuten später der Stuttgarter Bus an die Absperrung und genau an dieser Stelle wird es interessant. Denn die meisten Leute waren eher überrascht von dieser Situation und – zugegeben - durchaus belustigt sowie großmäulig. Ich habe mich die komplette Zeit an der vordersten Linie der Menge, die nebenbei bemerkt eher 500 als 250 Personen umfasste, aufgehalten, konnte aber bis auf eine Leuchtkugel, die noch vor der Absperrung runterging keiner Anzeichen von Angriffen auf den Bus erkennen. Von einem Zurückdrängen der Karlsruher Fans durch Reiterstaffeln war ebenfalls nichts, aber auch gar nichts zu erkennen.



Woher diese Information kommt, keine Ahnung – sie ist schlichtweg falsch. Sogar vereinzelte Stuttgarter Fans liefen die ganze Zeit (durch die Karlsruher Menge) in die Richtung „Nackter Mann“ und ich habe nicht gesehen, dass diese irgendwie angegriffen oder massiv angepöbelt wurden. Mein Punkt ist: der Eindruck, den die Polizei erweckt, dass nämlich 250 zu allem entschlossene und gewaltbereite Fans geplant den VfB-Bus angegriffen hätten oder dies wollten, ist absolut nicht haltbar. Vielmehr kamen einige Umstände zusammen, in deren Folge eben ca. 500 Zuschauer auf der  Straße standen und sich an der Absperrung versammelt haben. Geschenkt, dass diese Ansammlung auf den Stuttgarter Busfahrer nicht gerade einladend gewirkt haben kann.

Die BILD präsentierte auf ihrer Internetseite neben einem Video, dass die Angriffe auf den Bus dokumentieren soll –  aber nur zeigt dass eben dies gerade nicht passiert – auch schnell Bilder des schwer beschädigten Gefährts, wobei aber mehr als zwei kleine Dellen auch bei noch so starker Vergrößerung nicht auszumachen sind. Vermutlich verursacht durch zwei Bierflaschen. Das ist natürlich nicht schön. Dennoch: Geschosse aus Bürgerkriegsgebieten hätten hier sicher kapitaleren Schaden angerichtet. Ich habe im Prinzip kein Interesse daran, der Polizei Verbesserungsvorschläge zu machen, aber wäre beispielsweise der Eingang  hinter der Gegengerade geschlossen geblieben und die ganze Absperrung 200 Meter in Richtung „Nackter Mann“ gelegt worden – diese Situation hätte durchaus verhindert werden können.

 

Auf dem Birkenparkplatz

Nach dem Spiel und dem kurzen Applaudieren der Mannschaft, beim Hinuntergehen der Treppe hinter der Gegengeraden, war bereits eine Leuchtkugel zu sehen, die scheinbar von Seite der Stuttgarter Busse in Richtung Karlsruher Seite gefeuert wurde. Viele Zuschauer drängten sich den gewohnten Weg Richtung Durlacher Tor, und standen bald an der immer noch bestehendeN Absperrung. Gleichzeitig begann die Polizei, Stuttgarter Fans in Richtung ihrer Busse auf dem Birkenparkplatz zu drängen. Ein folgenschwerer Fehler – aber leider nicht der letzte an diesem Abend. Während also sehr viele Karlsruher in ihrem gewohnten Heimweg blockiert waren und die ersten Stuttgarter an ihren Bussen ankamen, sammelten sich durchaus Gewaltbereite, in der Mehrzahl aber doch eher Erlebnisorientete und vor allem junge Leute an der Absperrung am Birkenparkplatz. Schnell war etwas Rauch entfacht, Leuchtkugeln flogen (ich habe drei gezählt, die Youtube-Videos zeigen meiner Meinung nach  ich auch nicht mehr), ein paar (ich habe fünf gezählt, andere sprechen  von sechs) Verrückte, die tatsächlich versuchten, diese Absperrung zu überschreiten. Schauen wir uns aber auch hier die Videos von der Stuttgarter Seite an, so fällt auf, dass der Sicherheitsabstand offensichtlich groß genug war, um die Stuttgarter Zuschauer zu schützen.

 

Die Polizei entschloss sich nun, den Parkplatz zu räumen – und sorgte so erst recht für Gefahr. 15er Gruppen Einsatzkräfte, in Ketten sich bewegend, vermummt, schwer gepanzert und - tatsächlich - wild brüllend um sich schlagend, trieben nun die Masse zurück in Richtung Adenauerring, direkt auf die Wartenden zu. An dieser Stelle vermischte sich die Menge mit den weiter aus dem Stadion strömenden Menschen, und weiter zurück Richtung „Nackter Mann“. Es gab die ersten Verhaftungen durch nicht gerade zimperliche Zivilkräfte, die auch mit Stangen auf  am Boden liegende einschlugen. Hier begannen nun tatsächlich Einige aus der Menge im Rückzug mit Gegenständen zu werfen, ich selbst wurde nur knapp von einem Barhocker verfehlt. Allein – es gab kaum etwas zum Werfen.


 


Die Polizei rückte weiter vor, die Beamten brüllten, schlugen wild um sich – ein Teil der Menge konnte am „Nackten Mann“ auf die Seite weichen, während viele Zuschauer weiter von den Einsatzkräften in Richtung Mühlburger Tor getrieben wurde. Nochmal flogen 3 -4 Bengalos in Richtung Polizei. Ich selbst habe mich an ab diesem Punkt am „Nackten Mann“ aufgehalten und bin, nachdem sich dann die Lage an dieser Stelle langsam beruhigt hatte, an der Haupttribüne vorbei Richtung Schloß in die Stadt zurück.


Fazit

Ich bin mir absolut sicher, dass sich die Ereignisse vom Sonntag, unter Berücksichtigung der seit Jahrzehnten üblichen Menschenströme um das Wildparkstadion, durch klare Einsatzziele, eine flexiblere und weniger bornierte Einsatzleitung, durch eine bessere Vorbereitung und vor allem eine im Vorfeld weniger an der zu erwartenden Gewalt faszinierte Medienberichterstattung hätte verhindert werden können. Wären die Stuttgarter Fans, wie in Europapokalspielen üblich und vielen Karlsruhern von zahlreichen Auswärtsspielen ebenfalls bekannt, einfach noch 60 Minuten in ihrem Block oder zumindest im Bereich im Eingang Ost festgehalten worden, hätte sich gar nicht erst diese Menge auf dem Adenauerring bilden können, tatsächlich und unbedingt gewaltbereite Gruppen hätten schnell ohne Behelligung Unbeteiligter des Platzes verwiesen werden können. Wäre der Stuttgarter Mannschaftsbus von vornherein über das Mühlburger Tor zum Stadion geleitet worden, wäre es nie zu einer „Blockade“ gekommen. Es sind eben manchmal Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen.

Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, wären bestimmte Zuschauergruppen eben nicht gewaltbereit, sondern friedlich, verantwortungsbewusst oder einfach nur ein wenig älter und somit vielleicht charakterlich gefestigter, würden all diese hässlichen Sachen nicht passieren. Weit kommt man mit so einer Haltung aber nicht, die Welt sieht im übrigen Tag für Tag Schlimmeres und wären die Menschen eben anders als sie sind, bräuchten wir vermutlich keine Armeen, keine Polizei, Zäune und ABUS-Sicherheitsdoppelschlösser an Fahrrädern. Zielführend ist anders.

Erschreckend finde ich in diesem Zusammenhang vor allem die völlige Kritiklosigkeit der Medien, die offensichtlich völlig verlernt haben, kritisch nachzufragen. Warum der VfB-Bus trotz der angebliche heftigen Angriffsversuche zahlreicher Karlsruher gerade mal 2 kleine Dellen aufweist, hätte durchaus mal jemandem auffallen können. Nur so als Beispiel. Aber an einer stringenten Darstellung, einer schlüssigen Chronologie der Ereignisse scheint niemand wirklich interessiert zu sein. Gerade diese ist aber unerlässlich um eine tatsächliche Einschätzung der Lage zu bekommen und Widersprüche aufzudecken.

Es mag angesichts der hier beschriebenen Ereignisse verrückt klingen, aber eine Lehre des vergangenen Sonntag muß auch sein, die Bedürfnisse der organisierten und aktiven Fans in ihren traditionellen Formen der Fan-Clubs und ihren Ultra-Gruppen einfach wieder ernster und sie tatsächlich auch in die Verantwortung zu nehmen. Zu einem übergroßen Teil sind hier sehr intelligente, verantwortungsbewusste junge und alte Leute zu finden. Wenn ich lese, dass 150 Leute wegen Pyrotechnik und Vermummungsverbot festgesetzt werden, drängt sich doch die Frage auf, warum es nicht die Möglichkeit geben soll, diese kontrolliert und offen abzubrennen. In jedem Angelverein gibt es einen Gewässerwart, warum kann es nicht in Fan-Clubs einen, beispielsweise in der Freiwilligen Feuerwehr aktiven, Pyrotechnik-Wart geben. Diese könnten, gemeinsam mit Ordnern vor Ort und nach Absprachen, an dafür vorgesehenen und gesicherten Stellen eben diese Form der Stimmungsunterstützung  koordinieren. Das wäre nur ein möglicher Ausweg aus der derzeit doch etwas eingefahrenen Situation. Denkverbote helfen aber nicht weiter, mehr Polizei schon gar nicht.

 

Nachtrag

Während des Spiels, beklagt ebenfalls im WOCHENBLATT der  enorm meinungsfreudige Kolumnist KArle (genau, der mit der Kapp´) was eine „hoch gelobte Initiative „BLAU-WEISS statt BRAUN“ nutzt, wenn im Fanblock der faschistische Hohngesang „Schwaben sind zum Heizen da“ angestimmt wird. Ich kann hier nur für die Gegengerade sprechen, auf der eben dieser Gesang einmal aufkam und vom Vorsänger Daniel mit Hilfe des L-Block schnell und zielsicher durch andere Gesänge übertönt wurde. Genau das ist Konsens in der aktiven Szene, der immer wieder neu ausgehandelt und erkämpft werden muss – dank auch der Stimme der Initiative „BLAU-WEISS statt BRAUN“.

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